News – Mehrere Aktivisten fordern endlich eine Anschnallpflicht im letzten US-Bundesstaat New Hampshire, der bisland darauf verzichtet. Doch unglücklicherweise gibt die Unfallstatistik den Gurtmuffeln an der Ostküste recht.
Für uns vollkommen unvorstellbar, aber die Amerikanerin Debbie Morrill hat sich ihr Leben lang noch nie angeschnallt.
Zitat: „Warum auch?“, fragt die 61-Jährige, die als Hotelmanagerin in der amerikanischen Kleinstadt Portsmouth arbeitet. „Ich bin ein Kind der 60er-Jahre“, erklärt die resolute Dame. „Damals“, sagt sie voller Stolz, „wurde die Freiheit noch großgeschrieben. Nicht überall nur Gesetze und Vorschriften. Hat’s uns geschadet? Ich glaube nicht. Von meinen Kindheitsfreunden sind jedenfalls alle noch am Leben.“
Genauso wie Debbie Morrill denken viele in New Hampshire, einem kleinem Landstrich mit gerade einmal 1,3 Mio. Einwohnern, der im Norden an Kanada und im Südosten an den Atlantik grenzt. Freiheit gilt dort als das Wichtigste. Im Jahre 1776 war New Hampshire mit die erste Kolonie, die den Briten die Unabhängigkeit erklärte, rührt daher auch das offizielle Staatsmotto: „Live Free or Die“, zu deutsch: „lebe frei oder stirb.“ New Hampshire lebt diesen Satz bis heute. Und ist der einzige US-Bundesstaat ohne gesetzliche Anschnallpflicht, für alle die älter als 18 Jahre alt sind.
Schock-Videos sollen helfen
Howard Hedegard kämpft seit etwa 30 Jahren für eine Gesetzesänderung. So steht der Experte für Verkehrssicherheit zum Beispiel regelmäßig vor Schulklassen, um jungen Menschen das Angurten schmackhaft zu machen.
„Wenn ein alter weißer Mann redet, hört sowieso keiner zu“, sagt Hedegard nachdenklich.
Aus diesem Grund fährt er immer zweigleisig: Zuerst zeigt er Statistiken, die den Sinn des Sicherheitsgurtes verständlich machen sollen und dann folgen sogenannte Schock-Videos, in denen nicht angeschnallte Fahrzeuglenker aus ihrem Wagen geschleudert und von anderen Autos überrollt werden.
„In vielen Fällen hat die Fahrgastzelle den Crash überstanden“, sagt der Gurtbefürworter. „Die Fahrer sind nur deshalb tot, weil sie unangeschnallt waren.“
Howard Hedegard hat extra viele dieser Beispiele gesammelt. Zudem leitet er auch selbst die Anschnall-Kampagne von einem Kinderkrankenhaus aus, wobei die Stelle größtenteils aus staatlichen Mitteln finanziert wird – Paradoxerweise. Denn schließlich hat sich das Landesparlament mehrfach gegen eine Anschnallpflicht ausgesprochen, zuletzt im Jahr 2009, als einige Demokraten einen Gesetzesvorstoß wagten.
„Viele denken, wir seien extrem konservativ“, sagt Hedegard, „aber das stimmt nicht.“ Tatsächlich dürfen auch in New Hampshire gleichgeschlechtliche Paare heiraten, in Kneipen herrscht striktes Rauchverbot und schon bald könnte sogar Marihuana legalisiert werden. „Nur beim Autofahren hört die Logik auf“, sagt Hedegard. „Es ist ein bisschen wie in Deutschland mit dem Tempolimit auf der Autobahn.“
Eine Gurtpflicht passt eben nicht zu Freiheit & Selbstbestimmung der USA
Regelmäßig werden Gurtmuffel und -träger von Freiwilligen gezählt, um herauszufinden, wie es um die automobile Freiheitsliebe bestellt ist. Dabei stellen sich die Freiwilligen an den Straßenrand und führen eine Strichliste, aus der die Anschnallquote später hochgerechnet wird.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Im Bundesstaat New Hampshire nutzen nur rund 70 Prozent der Verkehrsteilnehmer ihren Gurt; im restlichen Land sind es wenigstens 87 Prozent. Im internationalen Vergleich ist das nur ein bescheidener Wert. Vergleichsweise liegt In Deutschland die Anschnallquote bei 98 Prozent. Interessanterweise werden in den USA dagegen sogar Crashtests auch mit nicht angegurteten Dummys durchgeführt.
[Quelle: sueddeutsche.de; Foto: Pixabay]